2 Der Leib

. . . und schimmert an den Lüftungsklappen auf dem Gasbehälter. Gold. Waldbekrönte Rebenhänge formen um den Stadtteil einen Schoß, durch den der Neckar dringt. Begradigt strömt der Fluß, hier breitet sich die Stadt gen Ost und mittendrin der Große Gasbehälter. Den haben sie frisch gestrichen. Graublau überragt er ziegelbraune Dächer, dahinter gleißt die Daimler-Benz-Arena, blinkt rund das Benz-Museum. Neckarglitzer, Glas und Hafenkräne, Müllkraftwerk und die Moschee von Milli Görüs. Das Volksfest-Riesenrad. Drüben raucht es aus den Gärten, hüben schmiegen sich die Stadtbahngleise wie ein Bruchband um den Bauch der Kolonie. Der Duft von frischem Zwetschgenkuchen strömt um die Linden bei der Treppe hoch zum Schorsch, unter welchem Namen man den Griechenwirt der vormaligen Straßenbahnergenossenschaftssiedlungsgaststätte mit Saal und Kegelbahnen in der Landeshauptstadt liebt. Hier traf ich den Bezirksvorsteher, der mich darüber informierte, bis wann ich den Antrag auf die Unterstützung meiner stadtbezirksbezogenen Aktion zum Auschwitzgedenktag am Schillerdenkmal in der Innenstadt zu stellen hätte. Jedenfalls würde ich mein Vorhaben noch vor der Bewilligung durch den Finanzausschuß beim Amt für Öffentliche Ordnung melden, dachte ich mir beim Anblick des Krautwickelpokals der noch immer auf der Zapfanlage stand.
Im Anfang also ein Leib, als dessen Bauch und Glieder der Gasbehälter und die Friedenau so stehen mögen wie sein Herz für Schiller schlägt, der in einem Brief auch von den Ketten schrieb, die man noch in anderen Welttheilen den Negern abnehmen und in Europa den - Geistern anlegen würde. Und daß man wohl damit anfangen müsse,  für die Verfassung Bürger zu erschaffen, ehe man den Bürgern eine Verfassung geben könne. Ob er wohl ahnte, was sich aus den Greueln der Französischen Revolution, die ihn bei diesem Brief bewegten, bis hin zum Holokaust noch entwickeln würde? Das Holokaust. Das sei der Geist, der unserem Leib noch fehlte.

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