10 Die Schere
















Dieser Artikel erschien im  
anstelle eines Gespräches, das die für den Stadtteil zuständige Redakteurin mit mir über meine Arbeit geführt hatte. Doch sah sich die Schlußredaktion genötigt, das Gespräch "aus inhaltlichen Gründen" nicht zu veröffentlichen, wie es in der Antwort auf meine Nachfrage hieß.  
Hier
folgt das Gespräch. 
 

Vorspann: Der Ostheimer Schriftsteller Gerhard Wagner  schreibt an einem Roman über das Leben um den Gaisburger Gaskessel. Seit 1984 lebt er in direkter Nähe zu dem imposanten Industriedenkmal, das zum Wahrzeichen des Stuttgarter Ostens geworden ist. Seinen Roman bezeichnet er auch als "Heimatroman" und erklärt, daß sein Werk unter besonderer Berücksichtigung der Nachwirkungen des Nationalsozialismus entstehe.

STW: Herr Wagner, worum geht es ihrem Roman?

Um das pralle Leben im Stadtteil und die Selbstgerechtigkeit von Leuten, die heute so tun, als ob sie damals Widerstandskämpfer gewesen wären, und sich so ganz gut sanieren.

STW: Mal erzählen sie, mal philosophieren sie, mal wird gedichtet. Meinen sie, daß der Leser damit zurechtkommt?

Ich schreibe nicht für jeden, sondern für die Sprache und die Sache, die sich von ihr nicht trennen läßt.

STW: Erkennt man die dargestellten Personen wieder?

Manche schon.

STW: Sie sprechen von den Nachwirkungen des Nationalsozialismus und kritisieren diese. Können sie das anhand von Beispielen aus ihrem Roman präzisieren?

So wird auch ein Vorgang während einer Ausstellung in der Stadtteilbücherei über die einstige Berger Frauenklinik und die dort von den nationalen Sozialisten angeordneten Zwangssterilisationen geschildert. Als nämlich ein Besucher in seinem Eintrag in das Gästebuch aus einem Artikel des "Vorwärts" zitierte, laut dem die Sozialdemokraten bereits in den 20er-Jahren solche Zwangssterilisationen zum Zweck der "Volksgesundheit" forderten, wurde das Gästebuch entfernt. Es war der erste Eintrag und blieb somit der einzige. So, wie sich das ereignet hatte, wird es auch als Beispiel für die diskussionsverweigernde Arroganz der kommunalen Hohenpriester der Deutungshoheit über die deutsche Geschichte beschrieben, auch in ihrer Possenhaftigkeit.

STW: Daß ein türkischer Fußballverein einen Sportplatz auf der Waldebene Ost betreibt, ist in dem Roman auch Gegenstand einer Stammtischdiskussion. Wollen sie Volkes Stimme transportieren?

Nicht anders als auch die Stimmen von Intellektuellen wie Schiller oder Adorno.

STW:  Warum sollen muslimische Mitbürger sich ein Vorbild an der Schillerverehrung des deutschen Judentums nehmen? Es hat doch katastrophal geendet?

Die Geschichte wiederholt sich nicht - was nicht das Verdienst der genannten Selbstgerechten ist. Und es kann ja wohl nicht schaden, wenn die Nachdenklichen unter ihnen wahrnehmen, daß es in der Tradition ihres Zuwanderungszieles noch diesseits von totalem Konsumismus noch eine Alternative zu ihrer Monokultur gibt.

STW: Meinen sie nicht, daß ein Vergleich zwischen den Muslimen heute und dem Judentum damals völlig hinkt?

Nicht völlig. Es bleibt aber gar keine andere Wahl, als daß sie sich aus der bildungsfernen Unterschicht, zu der sie in stark überproportionaler Weise gehören, emanzipieren, und so wie vorher die Juden gemeinsam mit den christlichstämmigen Deutschen eine neue Elite bilden. Wir müssen ihnen dabei helfen, weil wir uns das Scheitern solcher Versuche nicht leisten können.

STW: Manchmal scheinen die eingeflochtenen erzählenden Momente ihre weltanschaulichen Ausführungen nur einzuleiten. Ist ihr Roman nicht vielmehr ein Essay mit szenischen und poetischen Einlagen?

Er ist eine eigene Gattung, auch weil Aktionen wie die zum Auschwitzgedenktag 2008 am Schillerdenkmal dazugehören, und deren Entwicklung im Text dann auch dargestellt wird.

STW: Zuweilen hat man das Gefühl, sie beugen Satzstellung und Sprachstil einem heimlich unterlegten Versmaß, machen aus Prosa Lyrik?

Eher umgekehrt.

STW: Am 27. Januar um 19 Uhr 30 laden sie Interessierte zu einer Veranstaltung in der Friedenau ein. Um was geht es an diesem Abend?

Auch um den Auschwitzgedenktag an diesem Datum und um die Präsentation der Mappe "Schiller und das Holokaust". Einen Eindruck davon kann man sich auch im Internet verschaffen.    



 



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